Karlheinz Geißler – Alles hat seine Zeit, nur ich hab´keine!

Artikel in der Zeitschrift für Organisationsentwicklung von Jonas Geißler über seinen Vater
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«Wie fängt man einen Vortrag an, bei dem man von Anfang an am Ende ist?» Mit diesem Satz begann Karlheinz Geißler seine Abschiedsvorlesung an der Universität und beendete damit seine aktive Laufbahn als Hochschullehrer. Das war im Jahr 2006.

Und dieser kurze Satz sagt einiges über ihn aus – über seinen Sinn für Dialektik, seinen Humor und seine Art zu denken. Er schrieb ein Buch über Anfangssituationen und ein Buch über den Schluss. Und dazwischen, da liegt die Zeit. Sie wurde zu seinem großen Herzensthema. Ach, du liebe Zeit! Er selbst hatte einen sehr eigenen Umgang mit der Zeit. Durch eine Polioerkrankung im Alter von fünf Jahren und die dadurch hervorgerufene Gehbehinderung war er zeit seines Lebens verlangsamt. Er konnte nicht beschleunigen, so wie es die Welt um ihn herum tat. Das hat ihn zum Chronisten einer Entwicklung gemacht, die das Schnelle mehr heiligt als das Langsame. Mit seiner ganz eigenen Geschwindigkeit war er der Fixpunkt, von dem aus sich die Raserei vortrefflich beschreiben ließ. Und das war es, was er meisterlich verstand – uns, die Menschen, die Gesellschaft zu beobachten und zu beschreiben.

Karlheinz Geißler wurde 1944 in der Nähe von Regensburg geboren und wuchs anschließend als Sohn einer Lehrerin und eines Lehrers in der Schule eines oberhessischen Dorfes auf. Es ist bezeichnend, dass vermutlich hier der Grundstein für seine spätere Tätigkeit als Hochschullehrer für Pädagogik gelegt wurde.

Nach dem Studium der Ökonomie, Philosophie und Wirtschaftspädagogik arbeitete er zunächst als Handelslehrer und schlug dann eine akademische Karriere ein. Diese führte 1975 zu einem Ruf an die neu gegründete Universität der Bundeswehr München, wo er den Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik bis 2006 innehatte.

Neben seinen unzähligen Vorträgen, Radio- und TV-Auftritten, Aufsätzen, Artikeln und Büchern sind ihm einige weitere Verdienste zuteilgeworden: So war er z. B. Teil des wissenschaftlichen Beirats der EXPO 2000 und Mitglied des Beirats des Personalvorstands der Deutschen Bundesbahn. Er hatte an mehreren in- und ausländischen Universitäten Gastprofessuren – in Bremen, Karlsruhe, Augsburg, Innsbruck, Linz, Zürich, Sofia und an der Hochschule für Philosophie in München. Zudem war er 1992 Mitgründer des Projekts «Ökologie der Zeit» an der Evangelischen Akademie in Tutzing mit zweimal jährlich stattfindenden, international besetzten Veranstaltungen. 2023 wurde er posthum mit dem Life Achievement Award der Weiterbildungsbranche ausgezeichnet.

 

Dieser Text ist aus der Perspektive des Sohnes (Jonas Geißler) über seinen Vater (Karlheinz Geißler) geschrieben. Über 15 Jahre lang haben beide gemeinsam zum Thema Zeit publiziert, beraten und Vorträge gehalten. Jonas Geißler führt die gemeinsame Arbeit aktiv fort.