„Muße“- ein Wort so verstaubt wie der „Sonntagsspaziergang“. Trotzdem verzichtet kein marktgängiger Karriereberater, die Muße als Garantin eines erfolgreichen, eines stressfreien und glücklichen Lebens und Arbeitens anzupreisen.
An mehr als 500 Millionen EU-Bürger erging die Aufforderung, ihre Meinung zu einer möglichen „Zeitumstellung“ abzugeben. 4,6 Millionen – weniger als 1 % sind dem Aufruf gefolgt, drei Viertel davon Deutsche. 84% votierten für die Abschaffung. Soweit die Daten. Was sagen sie?
Der Münchener Zeitberater Jonas Geißler ist in einem ziemlich entschleunigten Haushalt aufgewachsen. Das hat ihn nicht nur zu einem Menschen gemacht, der gelassen wirkt. Es bestimmt auch sein Berufleben: Er will Menschen in Unternehmen und Organisationen zu einem sinnerfüllenderen Umgang mit ihrer Zeit bewegen.
Sofort, das bedeutet laut Duden: ohne irgendeine Verzögerung, auf der Stelle! Oftmals wohl versehen mit einem nonverbalen Ausrufungszeichen und entsprechend knapp und hart akzentuiert.
„Keine Zeit!“ Das ist zu einem universellen Erklärungsprinzip geworden. Es bedarf keiner weiteren Erklärung mehr. Die Floskel beendet jede Unterhaltung und alle Diskussionen und hinterlässt ein mitfühlendes und oft auch solidarisches Bedauern für die derart Geplagten. Der proklamierte Mangel an Zeit verbindet diejenigen, die sich (leider!) rarmachen müssen – oder es wollen.
Zeitwohlstand – den wünschen sich heute viele. Er wäre wohl das Gegenteil von dem, was viele als Zeitmangel erleben. Wohlstand ist die andere Seite von Mangel.
„Ich brauch‘ dringend mal eine Auszeit!“ So lautet ein häufig gehörter – und gesagter (?) – Satz heutzutage. Aber was ist das bitte, eine Auszeit? Die offenbar oft gewünscht, ersehnt und tatsächlich wohl auch immer öfter genommen wird. Manche dieser Auszeiten enden in Klöstern, bei Exerzitien, in Wellness-Oasen oder in Spa-Tempeln
Wir treffen Entscheidungen. Diese beziehen sich auf die Zukunft. Entscheidungen brauchen ihre Zeit – und wir tun mit ihnen so, als sei die Zukunft absehbar. Wir nehmen in den Entscheidungen die Zukunft vorweg. Dadurch erscheint diese kalkuliert und kalkulierbar. Das ist entlastend und macht Hoffnung.
„Manchmal hat der Moment, bevor etwas geschieht, mehr Zauber als das Geschehen selbst. Vorfreude zum Beispiel, immer beschrieben als schönste Freude.“ So eröffnet das SZ-Magazin im Editorial, dem Vor-Wort, am 09. März 2018. Und setzt fort mit der Aufzählung solcher Momente: „Vor-Lust, Vor-Spaß, Vor-Energie, Vor-Erfolg, Vorspiel, Vorglühen, Vorspeisen.“ Und widmet dem großartigen „Davor“ das Heft. Das ist eine schöne Idee. Mir zuvorgekommen.
Glaubt man den einschlägigen Äußerungen aus der Zeitmanagement-Szene, dann lauern sie überall und klauen uns die kostbare Zeit. Deshalb werden sie auch gelegentlich als Zeitdiebe verfolgt. Das sind quasi Verbrecher, die es auf unser wertvolles Gut abgesehen haben.
Nachdem 1893 in Deutschland die mitteleuropäische Normalzeit die vorher vorherrschende „Zeitenvielfalt“ abgelöst hatte, wurde staatlicherseits dreimal an der Uhr gedreht: Das erste Mal während des Ersten Weltkrieges (1916 – 1919), das zweite Mal während des Zweiten Weltkrieges, das dritte Mal als etwas verspätete Reaktion auf die Ölkrise – und unter dem Druck der europäischen Nachbarn.
„Haben Sie nächste Woche ein kleines Zeitfenster für mich?“ Das hörte und las ich von Zeit zu Zeit öfters. Und war verwirrt. Was war gemeint? Ein Fenster mit Blick auf die Zeit? Oder eines, das aus Zeit besteht?
Die Zeit kann unterschiedliche Formen annehmen: Mal warten wir, mal beschleunigen wir, mal verharren wir im Augenblick, genießen die Auszeit oder die kurze Unterbrechung. Oder hadern mit deren heutiger Vielzahl, die uns die Zeiten so zerklüftet und sie uns oft schwer macht.
Zum Ausklang des Jahres ein schöner Text von Karlheinz Geißler über die Zeitinstitution des Feierabends. Geruhsame Zeiten!
LANDKREIS SCHWEINFURT – Wie hat sich unser Umgang mit der Zeit verändert? Warum gehen wir in dieser Form mit der Zeit um? Welche Probleme entstehen dadurch? Wie lässt sich auf diese zeitlichen Anforderungen reagieren und welche Kompetenzen braucht es dafür? Mal sachlich, mal witzig, mal nachdenklich setze sich Zeitforscher Jonas Geißler bei seinem Vortrag im Landratsamt Schweinfurt mit dem Thema Zeit auseinander.
In: Pressesprecher – Magazin für Kommunikation 10/2017, von Jens Hungermann Unsere Arbeitswelt und unsere Art zu kommunizieren verändern sich rasant. Immer mehr Menschen haben die Befürchtung, die steigende Geschwindigkeit könnte sie überfordern. Umso wichtiger ist es, ein eigenes Tempo zu finden.
Zeitvortrag von Jonas Geißler, Landratsamt Schweinfurt, 4.10.2017 Der Artikel hierzu in der Mainpost vom 5.10.2017 „Alles hat seine Zeit“, heißt es im Alten Testament. „Warum aber hab ich dann keine Zeit“, lautet die Frage heute. Zeitforscher Jonas Geißler gibt Antworten.
von Jonas Geißler, Oktober 2017 Wir haben nicht zu wenig Zeit. Wir haben zu viel zu tun. Fangen wir an, es sein zu lassen! “Jonas Geißler, 38, Münchner Zeitforscher, rät dazu, mehr vermeintlich wichtige Dinge im Leben wegzulassen. „Wir sollten also wieder lernen, Dinge zu verpassen, “ sagte er der Rheinischen Post. „Dafür eignet sich eine Let-it-be-Liste anstatt der berühmten To-do-Liste. Auf die schreibt man auf, was man alles weglassen wird.“ Süddeutsche Zeitung, Rubik „Leute“, am 7.8.2017
Prof. Dr. Karlheinz Geißler in den XING News 11.07.2017 Der rastlose Zeitgeist meint es nicht gut mit der Pause. Er liebt sie nicht, er ehrt sie nicht. Die Diktatur des Immer-schneller und die des Zeitsparens hat die Pause zu ihrem Feindbild erkoren. Im Fernsehen ist jede Pause eine Sendestörung, im Internet ein Defekt, im Straßenverkehr ein Ärgernis und in der Arbeitswelt nichts weiter als ein geldwerter Zeitverlust.
Die “Zeit zwischen den Jahren”: eine seltsame Formulierung, ein seltsames Ereignis, eine seltsame Zeit – was versteht man eigentlich darunter? Buchautor Karlheinz Geissler “antwortet” auf die wichtigsten Fragen dazu.